"Bellen der Nato an Russlands Tür": Papst lässt zu Ukraine-Eskalation aufhorchen

Erstellt: 06.05.2022, 04:51 Uhr

Von: Andreas Schmid

Papst Franziskus spricht über den Ukraine-Krieg. Der Nato gibt er eine Mitschuld, Putin will er treffen - die russisch-orthodoxe Kirche aber nicht.

Papst Franziskus spricht in einem Interview über den Ukraine-Krieg. In Moskau will er bei Kreml-Chef Putin vermitteln.
(Archivbild) © L'osservatore Romano HO/dpa

Rom - Wie positioniert sich der Vatikan im Ukraine-Krieg? Einerseits war der eskalierte Konflikt eines der Hauptthemen der Osterbotschaft von Papst Franziskus. Vor rund 50.000 Gläubigen rief er auf dem Petersplatz in Rom zu Frieden für die "leidgeprüfte Ukraine" auf. Er sprach vom "Ostern des Krieges", da es schon "zu viel Blutvergießen" in diesem "sinnlosen Krieg" gegeben habe.

Andererseits sieht sich das Kirchenoberhaupt immer wieder mit Vorwürfen konfrontiert, er sei zu Putin-freundlich, Russland-nah. Jüngst schrieb er deshalb einen Brief an einen argentinischen Journalisten. Den Medien in seiner Heimat warf er "Verleumdung und Desinformation" vor. Sie hatten kritisiert, dass sich Franziskus zwar mit der Ukraine solidarisiere, nicht aber Russland und Präsident Wladimir Putin namentlich verurteile. Nun meldete sich Papst Franziskus erneut zu Wort.

Ukraine-Krieg: Papst will Putin treffen - "Wir bemühen uns darum"

Franziskus hat Putin nach eigenen Angaben um ein Gespräch in Moskau gebeten, um auf ein Ende des Ukraine-Kriegs hinzuwirken. Das Oberhaupt der katholischen Kirche erklärte in einem Interview mit der italienischen Zeitung Corriere della Sera vom Dienstag (3. Mai), er habe Putin etwa 20 Tage nach Kriegsbeginn eine Botschaft zu einem Treffen übermitteln lassen - bisher aber keine Antwort erhalten.

Franziskus, Staatsoberhaupt des Vatikans, sagte der Zeitung: "Wir haben noch keine Antwort erhalten und wir bemühen uns weiterhin darum. Aber ich befürchte, dass Putin sich derzeit nicht treffen kann und will." Interessant: Eine Reise in die Ukraine plant der Papst nach eigenen Angaben nicht. "Ich werde vorerst nicht nach Kiew reisen", sagte Franziskus. "Ich habe das Gefühl, dass ich dort nicht hinreisen sollte. Erst muss ich nach Moskau, erst muss ich Putin treffen."

Der Papst verglich in dem Interview den Ukraine-Krieg auch mit dem Völkermord in Ruanda. "Man muss eine solche Brutalität einfach stoppen. Wir haben mit Ruanda vor 25 Jahren dasselbe erlebt", fügte Franziskus hinzu. Er bezog sich damit auf den Völkermord in dem ostafrikanischen Staat im Jahr 1994. Damals wurden nach UN-Angaben 800.000 Menschen getötet, überwiegend Angehörige der Tutsi-Minderheit im Land.

Ukraine-Krieg: Franziskus kritisiert Nato

Für Aufmerksamkeit sorgten auch Passagen aus dem Interview, in denen Franziskus die Nato kritisiert. Wie in jedem Konflikt gebe es auch im Ukraine-Krieg "internationale Interessen". Für die Eskalation des Ukraine-Konflikts habe womöglich "das Bellen der Nato an Russlands Tür" gesorgt, mutmaßte Franziskus. Er wolle zwar nicht so weit gehen, zu sagen, dass die Nato-Präsenz in den Nachbarländern Russlands den Kreml "provoziert" habe. Die Invasion sei dadurch aber "vielleicht erleichtert" worden.

Franziskus könne außerdem nicht beurteilen, ob Waffenlieferungen in die Ukraine nun richtig seien oder nicht. Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine sei von außen geschaffen.

Deutsche Theologen sehen das Interview kritisch. Sie riefen den Papst auf, sich stärker zur Ukraine zu bekennen. "Der Papst diskreditiert sich und die katholische Kirche, wenn er den Angreifer nicht benennt", sagte der Osteuropa-Experte Thomas Bremer dem Online-Magazin "Kirche-und-Leben.de". Die Berliner Theologin Regina Elsner stört, dass Franziskus mit Putin sprechen will. "Ich glaube nicht, dass irgendjemand gerade noch Einfluss auf Putin nehmen kann", sagte sie dem Internetportal domradio.de.

Ukraine-Krieg: Papst attackiert "Messdiener Putins"

Papst Franziskus und Kyrill bei einem Treffen im Jahr 2016. Im Juni hätten sich die beiden Kirchenchefs erneut sehen sollen - doch der Papst sagte ab.
© ITAR-TASS/Imago

Kritik gibt es aber auch aus Moskau. Zwischen Russland und dem Vatikan kriselt es derzeit ein wenig. Franziskus gilt eigentlich als Geistlicher, der die Differenzen mit der russisch-orthodoxen Kirche überwinden will. Zuletzt kam es aber zur Absage eines eigentlich für Mitte Juni geplanten Treffen mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill, dem Chef der russisch-orthodoxen Kirche. Das dadurch vermittelte Zeichen wäre in Zeiten des Krieges unangebracht, sagte Franziskus jüngst.

In dem Interview sprach Franziskus nun auch über Kyrills Putin-Nähe. "Ich habe 40 Minuten mit Kyrill über Zoom gesprochen. In den ersten zwanzig hat er mir mit einem Zettel in der Hand die Rechtfertigungen für den Krieg vorgelesen", schilderte Franziskus. Er dürfe sich "nicht zum Messdiener Putins machen". Kyrill verteidigt den russischen Angriffskrieg regelmäßig. Die russisch-orthodoxe Kirche wies die Kritik zurück und warf Franziskus einen "unkorrekten Ton" vor. Kyrill hat derzeit aber ohnehin andere Probleme. Er könnte auf die Sanktionsliste der EU kommen. (as)


Quelle: merkur.de


Papst Franziskus prangert Nato-Osterweiterung an

04.05.2022, 14.54 Uhr

In einem Interview erklärt Papst Franziskus, die Präsenz der Nato an Russlands Grenzen habe Putins Angriffskrieg auf die Ukraine "vielleicht erleichtert". Er will nun zuerst Moskau einen Besuch abstatten - erst später Kiew.

Papst Franziskus
Foto: Andrew Medichini / dpa

Papst Franziskus hat die Schuld Russlands am Angriffskrieg auf die Ukraine relativiert. In einem Interview mit der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" sagte er, dass das "Bellen" der Nato an Russlands Tür zu Wladimir Putins Invasion in die Ukraine geführt haben könnte. Er würde zwar nicht so weit gehen zu sagen, dass die Nato-Präsenz in den Nachbarländern Moskau "provoziert" habe, aber sie habe die Invasion "vielleicht erleichtert".

Franziskus verurteilte auch die "Brutalität" des Krieges und verglich ihn mit dem Bürgerkrieg in Ruanda in den Neunzigerjahren, der zu einem Völkermord an der Tutsi-Minderheit führte.

"Ich muss erst Putin treffen"

Er habe angeboten, den russischen Präsidenten in Moskau zu treffen, erklärte Franziskus. "Am ersten Tag des Krieges habe ich den ukrainischen Präsidenten Selenskyj angerufen", sagte Papst Franziskus, "Putin hingegen habe ich nicht angerufen." Nun aber sei es notwendig, dass er zunächst nach Moskau und dann erst nach Kiew reise. Er habe bereits Vertreter Roms nach Kiew geschickt. "Aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht gehen darf. Ich muss erst nach Moskau fahren, ich muss erst Putin treffen", sagte er. Bislang habe der Vatikan allerdings noch keine Rückmeldung zu dem Angebot aus dem Kreml erhalten.

Franziskus äußerte sich auch zur Rolle von Patriarch Kirill, dem Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, der den russischen Krieg unterstützt. "Ich habe mit Kirill 40 Minuten lang per Zoom gesprochen. In den ersten zwanzig Minuten las er mir alle Rechtfertigungen für den Krieg vor. Ich hörte zu und sagte: Ich verstehe das alles nicht. Bruder, wir sind keine Staatskleriker, wir können nicht die Sprache der Politik verwenden, sondern die Sprache Jesu (...) Deshalb müssen wir nach Wegen des Friedens suchen und das Feuer der Waffen einstellen."

Der Papst habe eigentlich am 14. Juni ein Treffen mit Kirill in Jerusalem vereinbart. Doch der Pontifex sagte dieses nun mit dem Argument ab, es "könnte ein zweideutiges Signal sein".


Quelle: spiegel.de